Europa ist auch Jugendarbeit!

Europa ist auch Jugendarbeit!

Professorin Dr. Regina Münderlein ist Professorin für Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Jugendarbeit an der Hochschule Kempten. 2018–2021 hat sie zum Thema Jugendarbeit im Europäischen Raum geforscht – und erklärt uns in diesem Beitrag, wie sich in den letzten Jahren der Gedanke partizipativer Jugendarbeit in Europa etabliert hat


Europa ist viel mehr als eine wirtschaftliche Gemeinschaft. Europa verkörpert auch die Idee der geteilten demokratischen und sozialen Werte. Die Europäische Grundrechtecharta ist dafür nur ein Beispiel. Europa steht für eine pluralistische Gemeinschaft auch von jungen und älteren Menschen, Menschen mit unterschiedlichsten biografischen Hintergründen und Ländern mit verschiedenen historischen Entwicklungslinien. Mit dem europäischen Raum als „transnationale[n] Ordnungs- und Identifikationsrahmen“ (Thimmel 2020, S. 1222) werden nicht nur die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bezeichnet, vielmehr umfasst dieser Raum über den Europarat (Council of Europe) viele weitere Länder.

Gemeinsam ist allen in diesem Raum befindlichen Nationalstaaten, dass junge Menschen sich darin entwickeln wollen, sich für eigene Belange und globale Probleme engagieren wollen und müssen. In der Jugendphase werden jedoch öffentliche Zusammenhänge in informellen und non-formalen Räumen neben der Schule und Familie immer wichtiger. Für dieses jugendpolitische und (sozial-)pädagogische Aufgabenfeld, welches professionell und ehrenamtlich gestaltet wird, gibt es mittlerweile auch eine europäische Idee: die Youth Work.

Bild: Regina Münderlein

Seit gut zehn Jahren zeichnet sich im europäischen Raum eine vorher nie da gewesene jugendpolitische Aktivität und Verständnis von Youth Work ab, die neue Chancen für junge Menschen in Europa und für das Feld der Youth Work eröffnet. Der Europarat formuliert im Einklang mit der Europäischen Kommission sinngemäß, Youth Work sei ein Schlüsselbegriff für alle Arten von Aktivitäten mit, für und von jungen Menschen mit sozialem, kulturellem, bildendem und politischem Charakter, die freiwilligen Charakter haben. Das Hauptziel der Youth Work sei es, Möglichkeiten für junge Menschen zu schaffen, ihre eigene Zukunft zu gestalten.

Nicht nur gut bestückte europäische Programme und Initiativen laden ein zu verschiedenen Aktivitäten. Seit der dritten Youth Work Convention 2020 in Bonn, wurde die „Youth Work Agenda“ als strategischer Rahmen für die Förderung und Weiterentwicklung von Youth Work im europäischen Raum angestoßen. Im Rahmen des sogenannten Bonn-Prozesses beteiligt sich auch Deutschland an dieser partizipativ gestalteten Implementation.

Diese Jugendarbeit/Youth Work zeigt sich heute in einer klaren, wertebasierten Ausprägung. Sie baut auf geteilten Werten wie Inklusion, Toleranz, Solidarität, Vielfalt und Gerechtigkeit auf, wie spätestens seit der dritten Youth Work Convention 2020 deutlich wurde. Menschen, die selbst in diesem Feld aktiv waren, Teilnehmer*innen von Jugendfreizeiten und des internationalen Jugendaustausches, Besucher*innen von Jugendtreffs, Jugendliche in kirchlichen Jugendgruppen, Fachkräfte der Jugendarbeit können das bestätigen. Die Aktiven und die engagierten jungen Menschen haben ein Bild davon, wie sich Jugendarbeit für sie anfühlt, was für Möglichkeiten darin enthalten sind und wie vielfältig die Ausprägungen und Chancen der Jugendarbeit sein können.

Bild: Canva

Die Youth Work im europäischen Raum stellt sich ganz klar als ein sehr offenes und beteiligungsorientiertes Feld dar, sogar offener, als wir dies in Deutschland gewohnt sind – auf Augenhöhe, wohlwollend und an allen Aktiven interessiert. Es ist wichtig und zielführend, Jugendarbeit über die nationalstaatliche Sicht hinaus zu denken und Impulse zu nutzen, die das Angebot, die Methoden, die Qualifikationen und die Zielgruppen erweitern können. Die offene, demokratische Gesellschaft lebt von Pluralität und konstruktivem Austausch bei gemeinsamer Werteorientierung.

Wir müssen weiter daran arbeiten, Barrieren zum europäischen Raum abzubauen und Zugänge zu schaffen. Europa soll nicht unnahbar bleiben. Gerade wenn kritische Stimmen gegenüber dem europäischen Plan und laut werden und Demokratie manchmal keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein scheint, ist es zielführend, die Faktenlage gut zu kennen.

Insgesamt ergibt sich mit der Youth Work eine Art neue Landkarte. Vieles ist für junge Menschen und Fachkräfte der Jugendarbeit möglich, mehr als gedacht, und die wirklichen Hürden sind wohl kleiner als die imaginierten. Trotzdem bleibt es eine Herausforderung! Youth Work kann eine Verbindung sein, die nicht nur im Kopf, sondern auch emotional ankommt in den Lebenswelten, Kontakten und Vorstellungen junger Menschen. Es wäre schön, wenn es mit gemeinsamen Kräften gelänge, Jugendarbeit zu erweitern und den transnationalen und internationalen Raum eines „weiten Europas“ aufzunehmen und zu realisieren. Dies scheint nicht nur geboten, sondern wird hoffentlich irgendwann selbstverständlich werden. Wir können das Europa der Zukunft gemeinsam – demokratisch, wertebasiert – gestalten.